Vernissage

das Vergnügen der interdisziplinären Randfigur

Posted by Sven Oloff on Di., Juli 3, 2018
Tags cello

Jetzt ist der Moment die Arbeit zu beenden. Der letzte Strich ist gezeichnet, Firnis auf das Bild und die Gäste können geladen werden. Glanz auf dem Bild, auf dem Publikum und eine strahlende, musikalische Umrahmung dazu. Soweit die Geschichte, doch eine wundersame Sinnumkehr gibt Anlass zum Unmut: wird hier das Kunstwerk oder das Publikum umrahmt? Die Gäste scheinen ausreichend gefirnisst und die Werke benötigen kaum mehr Lack. Also eine Vernissage (‚Lackierung‘) von was?

Solchermaßen infrage gestellt, ist zu überdenken, welcher Sinn in einer musikalischen Umrahmung steckt – nur Konvention und zusätzliche Geräuschkulisse?
Zum einen ist es der, die Sinne zu öffnen. Das Ohr öffnet und befreit das Auge. Mit dem Hören kommt Ruhe in die Rinde, ein emotionaler Neustart des Denkapparates. Mit seiner Flüchtigkeit ist der Ton ein zurückhaltender Begleiter des Bildes. Im umgekehrten Fall hat das Bild, sei es als Bühnenbild oder als Bühnenshow, eine deutlich größere und anhaltendere Präsenz und tritt damit in stärkere Konkurrenz mit dem Konzert. Der Musiker hat es bei der Vernissage viel leichter, die kreative Nebenrolle einzunehmen, die von ihm verlangt wird.

Martin Sander Vernissage Aenne Burda stift

Vernissage Martin Sander „Lichtblicke“, Aenne Burda-Stift Offenburg;
Martin Sander Foto: Ulrich Marx

Und so kann es doch gelingen. Zum zweiten hilft die Musik den Ablauf zu strukturieren. Wenn alles stimmt und etwas Glück dazukommt, funktioniert die Umrahmung und ist mehr als bloße Dekoration. Der Begriff des Rahmens ist dabei jedoch irreführend: im Konkreten ist der Rahmen ein Teil des Bildes und wird vom Maler gewählt oder bewusst weggelassen. Im übertragenen Sinn einer Veranstaltung assoziiert der Begriff Fokussierung und Begrenzung. Doch der Musiker ist bei der Vernissage keine Vorband.

Vielmehr besteht die Aufgabe darin, zu öffnen und Freiraum zu geben. Also ist der Beitrag des Musikers alles, nur kein festhaltender Rahmen. Öffnen statt Schließen: vielleicht eher so etwas wie der Facettenschliff am Rand einer Glasscheibe, der das Licht nach außen bricht. Eine interdisziplinäre, öffnende Facette zur präsentierten Kunst. Das ist dann das Vergnügen der interdisziplinären Randfigur.
Zum Beispiel mit einem ruhigen BACH zwischen gemalten Baumstämmen.

Martin Sander Vernissage Hubert Burda Schlössle Galerie
Vernissage Martin Sander „Landschaften“,
Schlössle Galerie Fessenbach, Hubert Burda;
Foto: Susanne Ramm-Weber

Was wird hier gespielt?
Mit dem ‚Firnissen‘ als markantem Moment richtet sich der Blick zurück auf den Abschluss einer Arbeit. Die Arbeit ist getan.
Jetzt, musikalisch begleitend oder akzentuiert präsentiert, ist der Event - was auch immer dabei im Vordergrund steht…
Darüber hinaus existiert eine dritte zeitliche Dimension, die sich im Stillen vollzieht.

Wenig vermag so zu Inspirieren, wie das Ende einer kreativen Arbeitsphase. Mit dem Abschluss und der Veröffentlichung ist Platz für das Neue. Es ist eine innerliche Wendung des Künstlers um einhundertachtzig Grad und die Grundierung einer neuen Leinwand wäre jetzt das entsprechende Ritual zur Vernissage.
Ein stiller Moment zwischen der Zeit. Nur die imaginäre Zeitlupe dieser Wendung scheint die Zeit stehen zu lassen. Das Jetzt, ohne einen eigenen Zeitraum, ist nur die zeitliche Abbruchkante der Vergangenheit zur Zukunft.

Martin Sander Vernissage Glas Facettenschliff