Sarabanden

das Experiment

Posted by Sven Oloff on dim., déc. 2, 2018
Tags cello

“Vorhang auf” - das Spiel ist eröffnet und das Bühnenbild gibt den Rahmen vor. Préludes eröffnen eine Suite auf markante Weise. Es folgen in den Solosuiten für Violoncello von J. S. Bach fünf Tanzsätze. Der Charakter der gesamten Folge von Sätzen ist schon im Präludium vorgestellt. In der Mitte der Tanzsätze steht die Sarabande als ruhiger Tanz, auch wenn sie in vorbarocker Zeit nicht immer ruhig sein musste. Hier, nun einmal als “ruhige Mitte” genommen, scheint sie wie ein Stamm, an dem davor und danach zu beiden Seiten die bewegteren Sätze wie Äste, wie Arme herausragen; ruhig, aber kraftvoll - tragend. So wie das Präludium das äußere Deckblatt der Suite ist, scheint die Sarabande ihre Innensicht zu sein.

Grundsätzlich ist es zumindest fragwürdig, eine Suite zu zerreißen. Jeder Satz nimmt seinen Platz ein, genau darin liegt jedoch auch eine Gefahr. Die Funktion eines Satzes im Ablauf der gesamten Suite kann dazu verführen, diese Funktion überzubewerten. Für die Sarabanden bedeutet das eine mehrfache Eingrenzung. Einmal ihre Verwendung als ruhigen Tanz - ein “presto” lässt sich hier nicht mehr erahnen. Und außerdem, als Steigerung der ruhigen Deutung des Tanzes, noch die Funktion als ruhiger Mittelteil zwischen den deutlich schnelleren Ensembles aus Allemande und Courante zu Beginn und aus z. B. Menuetten und Gigue zum Schluss. So fallen wertvolle Unterschiede zugunsten eines Stereotyps unter den Tisch. Was soll schon aus einer Sarabande werden, wenn sie immer der langsame Satz sein muss?

Eine herausragende kompositorische Qualität der Violoncello-Suiten von Bach ist sicher ihre große Gestaltbarkeit und so gibt es nicht die eine richtige Interpretation. In der Regel wird von verschiedenen Cellisten oder in verschiedenen Arbeitsphasen eine Sichtweise auf alle Suiten präsentiert. Das Experiment hier soll darin bestehen, nicht den Suiten entlang zu folgen, sondern den Blick quer dazu auf die Sarabanden zu richten. Ein Experiment, die Unterschiedlichkeit der Sarabanden ohne ihre Einbindung in der Tanzfolge zu betrachten und zu entwickeln.

Ein Universum in vier Takten

Ganz in der Linie bewegt sich die erste Suite in G-dur. Auch in ihrer Innensicht, der Sarabande, wird der Hörer durch die Melodie eingenommen und geführt. Die Akkorde wirken eher als sanfte Streichbewegung denn als entwickelte Mehrstimmigkeit. Auffällig ist die Komplexität schon in den ersten vier Takten. Die eröffnenden beiden Klänge brauchen Zeit. Zeit für den freien Klang der leeren Saiten und die weite und weiche Bewegung des Bogens. Die erste Melodielinie mündet im zweiten Takt in die typisch gewichtende Verzierung auf dem zweiten Schritt. Erst jetzt beginnt das eigentliche Tempo, das Gehen. Würde man dem notierten Metrum folgen, so ergäbe sich, und in fast allen Interpretationen ist das so, eine sehr unschlüssige Melodielinie. Erst wenn man die Takte zwei und drei nicht als zweimal 3 Viertel, sondern als 3 Halbe interpretiert, bekommt sie einen Sinn. Mit dem vierten Takt schließt sich der erste größere (Halb-) Bogen der Melodie im normalen, notierten 3/4 Takt. Eine musikalische Architektur, die komplex ist, aber nicht kompliziert wirkt, sondern natürlich. Auch an anderen Stellen der ersten und der dritten Sarabande sehe ich diese Konstruktion.

Architektur Sarabande BWV 1007

Klangfarbe und Transparenz

Größte klangliche Differenzierung lässt sich in der zweiten Suite in d-moll entwickeln. Das gelingt, physikalisch konsequent, im Leisen. Sie wirkt geheimnisvoll ohne Traurigkeit, in den Farben impressionistisch. Satter Klang und langsames Tempo sind eigentlich fehl am Platz. Trotz reibungsvoller Akkorde bleibt alles in leichter, tänzerischer Bewegung. Die Zielpunkte der Melodiebögen wechseln über die gesamte Sarabande zwischen dem ersten Schritt des Taktes und dem tanztypischen zweiten Schritt.
Der Ausführung von Akkorden und Mehrstimmigkeit sind keine Grenzen gesetzt. Und ohne barocke Instrumente oder deren Spielweise kopieren zu wollen, liegt es doch nahe, sich von der Leichtigkeit und Transparenz inspirieren zu lassen und die Klangfülle des „modernen“ Violoncellos etwas zurückzunehmen.

Architektur Sarabande BWV 1008

Kraft und Dynamik

Ganz im Kontrast zur zweiten Suite, erscheint die Dritte in C-dur kraftvoll und expressionistisch. Die Entdeckung und Entwicklung des Violoncellos erfährt hier seine dynamische Seite. Schon die ersten Akkorde selbst, zu Beginn der Sarabande, fordern zur dynamischen Ausgestaltung auf - mit der Kraft einer Woge.

Die Auffächerung in einen nach innen gerichteten und einen nach außen gerichteten Aspekt in der zweiten und dritten Suite unterstreicht rückblickend noch einmal die natürliche Einheit der ersten Suite. Das mag auch erklären, warum sie so eingängig ist und sich kein Ohr vor ihr verschließt.